02 September 2005

PROGRAMM: GEORGISCHE FILMWOCHE

MANöVERfilmwoche

„Das georgische Kino ist eben das georgische Kino, und zwar in dem Sinne, als dass es das Leben und die Seele dieses kleinen Volkes, seinen Standpunkt, seinen Geschmack und seine Ästhetik widerspiegelt. Und deshalb hat es auch seinen eigenen Platz im weltweiten Kino.“
(Eldar Schengelaja)

Diese kleine „Woche des georgischen Filmes“ innerhalb des Festivals MANöVER 2005 ist ein Streifzug durch die interessante und vielgestaltige Kinematographie des Landes. Mit 3 repräsentativen Stummfilmen (einer davon wird nur in der „Cinemateque“ in der naTo gezeigt), einer Auswahl legendärer, ziemlich verschrobener Kurzfilme aus den späten 60er Jahren - der Hoch-Zeit dieses Genres, einem frühen Film des Ausnahme-Regisseurs Tengis Abuladze, einem endsozialistischen Klassiker des schwarzen Humors und einem neuen Film, der den Bürgerkrieg in Abchasien und seine Folgen für das heutige Georgien thematisiert, spiegelt dieses Programm fast 100 Jahre Filmgeschichte.

Georgiens Filmgeschichte begann unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Nach der Okkupation des Landes durch die Sowjetunion entstand bereits in den 1920er Jahren eine gut organisierte staatliche Filmindustrie, die in den 1980er Jahren alle zwölf Monate sieben bis acht Spielfilme und eine Reihe von Dokumentar- und Trickfilmen produzierte. Georgische Filme fielen frühzeitig durch Originalität und Kritik auf, wurden deshalb immer wieder von der Zensur unterdrückt. Nach der staatlichen Unabhängigkeit ging es mit der Filmproduktion in Georgien bergab.

(Anfänge)

Am 16. November 1896 wurde das erste Kino Georgiens in Tiflis eröffnet. Der erste georgische Film entstand 1912 unter der Regie von Wasil Amaschukeli und Alexander Digmelow. Es war ein Dokumentarfilm zum 72. Geburtstag des Schriftstellers Akaki Zereteli und zeigte dessen Reise durch Westgeorgien. 1916 drehte Alexander Zuzunawa den ersten georgischen Spielfilm: Christine, eine klassische Literaturverfilmung. Im Ersten Weltkrieg war Tiflis nach Sankt Petersburg die zweite Stadt des Russischen Reiches, dessen größere Kinos Wochenschauen vorführten.

(Erste Blüte)

Ende der 1920er Jahre erlebte der georgische Film seine erste Blüte. Konstantin Mikaberidse drehte „Meine Großmutter“ (1929), eine komödiantische Satire auf die sowjetische Bürokratie. Nikolos Schengelaja produzierte „Eliso“ (1928), einen Stummfilm über die Deportation der Tschetschenen 1864 und Michail Kalatosow (gebürtig Michail Kalatosischwili) produzierte „Das Salz Swanetiens“ (1930) einen Dokumentarfilm über das harte Leben im Gebirge.

(Stalinismus)

In den 1930er und 1940er Jahren unterdrückte der stalinsche Terror alle kritischen und originellen Tendenzen. Der Diktator verlangte stereotype Helden im Dienst der Staatsideologie. Lieblingsregisseur Josef Stalins war Micheil Tschiaureli, der für ihn Monumentalfilme wie „Der Schwur“ (1946) und „Der Fall von Berlin“ (1950) herstellte. Sie waren Teil des Personenkults um Stalin. Im Film wurde er vom georgischen Schauspieler Micheil Gelowani gespielt.

(Neue Formen)

Im Zuge der Entstalinisierung während der 1950er Jahre überraschte Georgien durch neue kritische Filme. „Wenn die Kraniche ziehen“ (1957), ein Antikriegsfilm von Michail Kalatosow, glänzte mit fotografischen Neuerungen. „Magdanas Esel“ von Tengis Abuladze schilderte als erster die fortbestehende Armut im Sozialismus. Viele Regisseure eiferten Abuladze nach und strebten nach einer neuen Wahrhaftigkeit. Weil die sowjetische Filmzensur unverändert präsent war, suchten sie nach Parabeln, Mythen und Epen, um Gleichnisse zur Gegenwart zu erzählen. Auf der Grundlage der georgischen Literatur, Kunst und Musik entwickelten sie eine neue Bildsprache.
In den Studios der Grusja-Film (georgisch Kartuli Filmi) entstanden in den 1960er und 1970er Jahren mit internationalen Preisen geehrte Meisterwerke. Es waren zumeist verspielte Komödien und böse Satiren. Sie ignorierte die traditionelle Erzähltechnik, zeigten dafür kräftige poetische Bilder, eine große Vielfalt und dramatische Übersteigerungen bis hin zur surrealen Groteske. In den 1980er Jahren trat die Kritik an den gesellschaftlichen und polirischen Verhältnissen scharf und naturalistisch in den Vordergrund. Die Regisseure waren neben Abuladze, Eldar und Giorgi Schengelaja, Otar Iosseliani, Lana Gogoberidse, Michail Kobachidse, Nana Dschordschadse und Dito Tsintsadze.
Bei Grusja-Film wurde grundsätzlich in georgischer Sprache gedreht. Später wurden die Filme für andere Sowjetrepubliken russisch synchronisiert. Wie in der Planwirtschaft üblich, musste jährlich eine festgelegte Anzahl von Filmen fertig gestellt werden. Für Regisseure gab es viel zu tun. Bis in die 1970er Jahre hinein wurden sie am Staatlichen Filminstitut (WGIK) in Moskau ausgebildet. Seit 1972 gibt es eine Filmfakultät am Schota-Rustaweli-Theaterinstitut, dem späteren Staatlichen Georgischen Institut für Theater und Film in Tiflis.

(Zensur)

Die Filmzensur zog immer wieder unliebsame Filme aus dem Verkehr. Schon Mikaberidses „Meine Großmutter“ durfte auf Verlangen der Zensur von 1928 bis 1967 nicht aufgeführt werden. „Pirosmani“ (1969) von Giorgi Schengelaia verschwand für zwei Jahre im Archiv. Otar Iosselianis Filme wurden mehrfach unterdrückt. Nachdem sein Film „Ein Sommer auf dem Dorf“ in den 1980er Jahren nicht veröffentlicht werden durfte, ging er ins Ausland. Abuladzes „Reue“, eine Abrechnung mit dem stalinistischen Terror wurde 1984 fertig gestellt, kam aber erst 1986, in Moskau sogar erst 1987 ins Kino. Oft wurden bereits die Drehbücher verboten. Zu den besonders verfolgten Autoren gehörte Sergej Paradschanow, dessen Skripte regelmäßig abgelehnt wurden.

(Niedergang)

Nach der staatlichen Unabhängigkeit Georgiens 1991 wurde die Filmzensur abgeschafft. Mit dem Niedergang der georgischen Wirtschaft ging es aber auch mit der Filmwirtschaft bergab. Wegen Schwierigkeiten bei der Finanzierung ziehen sich Produktionen über Jahre hin. Mitarbeiter beim Film verdienen zwischen 15 und 35 Lari (6,1 bis 14,3 Euro) im Monat. Das sind Gehälter weit unterhalb der Armutsgrenze.
Immer mehr Regissseure zogen ins Ausland. Neben Frankreich (Iosseliani, Kobaschidse) hat sich Deutschland (Dschordschadse, Dito Tsindsadze) als ein Standort des georgischen Films im Ausland etabliert. Um wenigstens einen Teil der Regisseure im Land zu halten, wurde 2001 das Nationale Zentrum für Cinematografie gegründet, das jedes Jahr zwei Filmprojekte auswählt, die zu 75% mit staatlicher Förderung in Georgien gedreht werden.
(Quelle: www.wikipedia.org)

Kobakhidzes Musikosebi / Musiker und andere legendäre Kurzfilme
Sonntag, den 9. Oktober, UT Connewitz
20 Uhr
Georgien, die kleine Nation am Rande des Kaukasus, ist ein großes Filmland mit eigenständiger Tradition. Die Filme zeichnen sich durch einen subversiven Humor aus. Regisseure wie Tengis Abuladze und Otar Iosseliani entwickelten ihre eigene Filmsprache, um Wahrheiten an der Zensur vorbei zu formulieren. Sie fanden dabei einen universellen Ton, so dass ihre Filme auch außerhalb Georgiens große Resonanz fanden. Eine besondere Stellung nahmen Kurzfilme ein, lassen sich hier doch Situationen und Aussagen besonders gut zuspitzen.
(Gisela Kruse für eine Filmreihe von LILE e.V. in Hamburg)
Die Filmtitel sind schlicht. Sie heißen „Junge Liebe“ und „Karussell“, „Der Krug“ oder „Die Gäste“, und ihr Inhalt ist hintersinnig, humorvoll oder poetisch-surreal. Von der Zensur bedrängt, entstanden in Georgien Leinwand-Parabeln, Filme von magischem Realismus, doppelbödigen Bildern, Filme an der Grenze zur Malerei, zum absurden Theater, Hommagen an den Stummfilm und den chaplinesken Humor.
(Hamburger Abendblatt)
Michael Kobakhidze wurde 1939 in Tbilisi geboren. Er studierte Schauspiel und Regie bei Sergej Gerassimow in Moskau. In dieser Zeit entstand sein erster Film „Junge Liebe“ (1961), für den er als Regisseur, Schauspieler sowie Drehbuchautor fungierte. Der Film hat viel Aufmerksamkeit erregt und ist mit dem 1. Preis für Studentenfilme ausgezeichnet worden. Nach „Karussell“ (1962) drehte Kobachidse seinen Diplomfilm „Die Hochzeit“ (1964), der zahlreiche internationale Preise erhielt, so z.B. in Oberhausen, Sydney und Buenos Airos. Auch der Kurzfilm „Der Regenschirm“ (1967) wurde im westlichen Ausland mehrfach prämiert.
1968 begann Kobakhidze seinen ersten Langfilm „Hoffnungen“, der aus vier Teilen bestehen sollte. Als er den ersten Teil beendet hatte, erteilte ihm die sowjetische Regierung Arbeitsverbot. Kobakhidze wurde vom damaligen Minister für Kinematographie des „Formalismus“ beschuldigt. Die sowjetischen Behörden lehnten seinen lyrisch-komischen Stil ab. Kobakhidze realisierte in der damaligen UdSSR nur noch wenige Zeichentrickfilme und lebt nach erzwungener mehrjähriger Stille seit 1996 in Paris.
(aus Materialien des Kommunalen Kinos in der naTo, das im Jahr 2001 u.a. Kobakhidzes Filme „Die Hochzeit“ und „Der Regenschirm“ präsentierte)
Wir zeigen Kobakhidzes letzten Kurzfilm „Musikosebi“ aus dem Jahr 1969.
Informationen zu den weiteren Filmen werden am Tag der Aufführung bekannt gegeben.


Eliso / Elisso
Montag, den 10. Oktober, UT Connewitz
20 Ihr
UdSSR/Georgien 1928, s/w, 77 min., vertont 1935, deutsche Texttafeln
Regie: Nikolai Schengelaja, Buch: Sergej Tretjakov
Der Film basiert auf Motiven einer gleichnamigen Novelle von Aleksander Kazbegi, hat aber in Bildgestaltung und Story starke quasi-dokumentarische Züge. Schengelajas bekannteste Arbeit beschäftigt sich mit einer wahren Begebenheit aus den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, als das Volk der Tschetschenen aus dem zaristischen Rußland in die Türkei zwangsumgesiedelt werden sollte. In Werdi, einem friedlichen tschetschenischen Dorf, gelingt es russsischen Kosaken, die das Dorf für sich übernehmen wollen, die Einwohner durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Weggehen zu bewegen. Die Kosaken finden aber nur ein niedergebranntes Dorf vor, weil die Tochter des Dorfältesten, Elisso, es vor der Umsiedlung in Brand steckt. Vor diesem aktionsreichen, politischen Hintergrund wird im Film die Geschichte der zukunftslosen Liebe zwischen der Muslimin Elisso und dem christlichen Tschewtschuren Wajia erzählt. Am Ende verlässt Elisso den Geliebten und geht zusammen mit den entrechteten, vertriebenen Stammesleuten in die Türkei.
Formal ist „Elisso“ durch die Suche des Regisseurs nach neuen, rein kinematographischen Ausdrucksmöglichkeiten gekennzeichnet. Besonders interessant macht den Film der damals neuartige Montagerythmus. Der ehemalige futuristische Dichter Schengelaja montierte seinen Film nach dem Rhythmus einer Trompete, auf der er selber Tanzmusik spielte. Die Art der Montage des Films, seine kurzen, schnellen Kamerafahrten, auch die Leidenschaftlichkeit in der Behandlung eines Themas brach mit vielen Konventionen des georgischen Stummfilm, der sich zuvor überwiegend episch erzählend durch lange Einstellungen charakterisierte.
Schengelaja thematisiert deutlicher als Kazbegi die hemmungslosen Kolonisierungsbestrebungen des zaristischen Rußlands und porträtiert die Verzweiflung und Verbitterung eines Volkes, das zumindest seinen Stolz bewahren möchte.


Jim Shvante / Das Salz Swanetiens
Dienstag, den 11. Oktober, UT Connewitz
20 Uhr
UdSSR/Georgien 1930, 56 min., deutsche Texttafeln
Der herausragende ethnographische Film über die im Bergmassiv des Kaukasus isolierte Region Swanetien ist das Debüt des Kameramannes und Kuleschov-Schülers Mikhail Kalatosishvili als Regisseur. Sein schönes, herbes, in Teilen grausames Werk wird von der internationalen Filmkritik in einem Atemzug mit Bunuels „Las Hurdes“ genannt. Durch eine Bergkette vom Rest Georgiens abgeschnitten, führen die Swanen ihr einfaches, entbehrungsreiches Leben. Vor allem leiden sie unter hochgebirgstypischen Mangelerscheinungen wie dem Fehlen von Salz und damit einhergehenden Krankheiten. Die Geburt eines Kindes ist ein Fluch, ausgiebig gefeiert wird vor allem bei Beerdigungen. Der Film stellt Momenten von Modernisierung - wie den Bau einer Straße, die Swanetien mit anderen Orten verbinden soll - alte Bräuche gegenüber, die in Swanetien niemals aufgegeben wurden. Der Schluss des Filmes, der die Hilfe des Sowjetlandes für die unterentwickelte Region beschreibt, wirkt im Geist der Zeit aufklärerisch, plakativ und propagandistisch.
Durch seine expressive Bildsprache, die Wucht der Bildes, ihre assoziative Montage und die Verwendung einer nahezu surrealistischen Erzählweise bei der Darstellung des Lebens der Swanen und der Beschreibung der Jahrhunderte alten Bräuche, gehört Kalatosishvilis Films trotzdem zu den Klassikern des sowjetisch-georgischen Dokumentarfilms. In einigen Effekten erkennt man bereits den späteren Autor von „Wenn die Kraniche ziehen“.
Im Rahmen von MANöVER 2005 - Kartuli Suli nimmt sich DJ Juggler dem Film an und erfindet live neue Soundkonstellationen.
(Sonderpreis: 10 / ermäßigt 7 Euro, aber Bestandteil der preiswerteren Dauerkarte)


Vedreba / Das Gebet
Mittwoch, den 12. Oktober, UT Connewitz
20 Uhr
UdSSR/Georgien 1968, 75 min., OmU
Regie: Tengis Abuladze, Buch: A. Salukwadze, R. Kwesselawa, T. Abuladze, Kamera: Alexander Antipenko
Darsteller: Spartak Bagaschvili, Russudan Kiknadze, R. Tschchikwadze, T. Artschwadze, G. Palawandischvili, O. Megwinetuchuzessi, S. Kapianidze, N. Kawtaradze

Abuladze studierte von 1943 bis 1946 Theaterregie am Schota Rustaweli Theaterinstitut in Tbilisi. 1952 schloss er ein Regiestudium am Moskauer Filminstitut (WGIK) ab. Tengis Abuladze war einer der ersten Regisseure in der Sowjetunion, die ein kritisches Bild des realen Sozialismus zeichneten. Sein erster Spielfilm, „Magdanas Esel“, entstand im Jahr 1956. Er handelt von einer georgischen Familie, die versucht, mit einem blauen Esel wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Der Film gewann eine „Goldene Palme“ in Cannes. „Magdanas Esel“ wurde zum Vorbild für viele weitere kritische Filme des politischen Tauwetters. 1968 drehte Abuladse „Das Gebet“, der Menschlichkeit gegen eine mittelalterliche Ordnung der Unbarmherzigkeit setzt. Etwa 10 Jahre später in „Baum der Wünsche“ erzählt er von der Zerstörung georgischer Traditionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Abuladzes Film „Die Reue“ (1984) rechnete kompromisslos mit dem Stalinismus ab. Er handelt vom verstorbenen Diktator Warlam, der von einer Frau ausgegraben wird, die seine Verbrechen ans Licht bringen will. Warlam sieht in der Rückblende aus wie Stalins Sicherheitschef Beria, trägt einen Hitlerbart und ein faschistisches Schwarzhemd. Der Film war bis 1986 in der Sowjetunion verboten. Auf Betreiben des georgischen KP-Chefs Eduard Schewardnadse konnte er schließlich aufgeführt werden und wurde zu einem Schlüsselkunstwerk von Glasnost und Perestroika. In den meisten übrigen sozialistischen Ländern blieb er verboten. 1987 erhielt „Die Reue“ den „Großen Preis“ der Jury in Cannes und wurde in der Rubrik „Bester ausländischer Film“ für den Oscar nominiert.
„Vedreba / Das Gebet“ beschreibt in majestätisch strengen, monolithisch stillen Schwarz-Weiß-Bildern den tödlichen Mechanismus von Hass und Rachsucht. Ein Christ tötet einen Moslem und wird, weil er ihn nicht nach altem Brauch verstümmelt, ausgestoßen und schließlich von anderen Moslems bestraft.
Von der Filmkritik werden „Das Gebet“, „Der Baum der Wünsche“ und „Die Reue“ oft als eine Art „Trilogie des Vaterlandes“ bezeichnet.


Tsisperi mtebi anu daudjerebeli ambavi (Tienschan oder Blaue Berge* oder Das Blaue vom Himmel**)
Donnerstag, den 13. Oktober, UT Connewitz
20 Uhr
UdSSR/Georgien 1984, 97 min., deutsche Fassung
Regie: Eldar Schengelaja, Buch: Reso Tscheischvili
Darsteller: Ramas Giorgobiani, Wassil Kachniaschvili, Taimuras Tschirgadze u.a.
Als wäre es die normalste Sache der Welt trägt der Nachwuchsliterat Sosso sein erstes Roman-Manuskript zur Begutachtung in einen Verlag. Er kennt die Kollegen, alle sind sehr aufgeschlossen als er an die wichtigsten Mitarbeiter jeweils eine Kopie verteilt. Jeder versichert ihm, den Text so bald als möglich zu lesen. Aber dieses Lesen, die normale Lektoratsarbeit, ist das, was in dieser Einrichtung am wenigsten stattfindet. Gelesen wird eigentlich nur vom Haushandwerker. Alle anderen haben wichtigere Dinge zu erledigen: Anträge schreiben, damit ein mächtiges Ölgemälde entfernt werden darf, französisch lernen, Eier kochen, Kollegen besuchen, Schachpartien spielen, sogar Trauben im Hof des Institutes ernten und keltern. Ständig werden irgendwelche nicht zu gebrauchende Chemikalien angeliefert - und wieder abgeholt. Immer fehlt der Mitarbeiter, der gerade gesucht wird - oder es fehlt die Unterschrift von Kuparadze, der im Film niemals auftauchen wird. Irgendwann gibt es keine lesbaren Kopien des Manuskriptes mehr, so dass Sosso bereits kurz nach der Niederschrift Teile des Romanes rekonstruieren. Parallel dazu, dass der junge Autor sein Anliegen über vier Jahreszeiten erfolglos voran zu bringen versucht, werden Risse im Haus entdeckt, die immer größer werden. Ein seit Monaten geduldig auf Audienz beim Direktor wartender Bergbauingenieur nimmt sich der Sache an, und da die Erschütterungen, die die Risse bewirken doch nicht durch Vibrationen von „Motorball“ spielenden Motorradfahrern aus dem Hinterhof hervorgerufen werden, wird Sosso - weil er ja Zeit hat - auf eine Dienstreise unter Tage, zu den Sprengungen in der U-Bahn geschickt. Für die es natürlich keine Vordrucke gibt...
Grandiose, bitterböse Satire auf Schlamperei und Bürokratie – nicht nur im realen Sozialismus, dessen Ende hier visionär vorhergesehen wurde. Ein echter Klassiker der Lakonie und des (georgischen) schwarzen Humors.
* in der BRD, ** in der DDR
Wir zeigen die Fassung aus dem Synchronstudio Potsdam-Babelsberg, DDR, eine dem georgischen Original mindestens ebenbürtige Nachvertonung.


By Spiral Staircase - Auf der Wendeltreppe
Freitag, den 14. Oktober, UT Connewitz
20 Uhr
Georgien 2002, 90 min., Original mit englischen Untertiteln
Buch und Regie: Merab Tavadze, Kamera: Georgi Gersamija, Georgi Beridze
Darsteller: Niko Tavadze (Georgi), Iza Gigoshvili, Eka Andronikashvili, Zviad Tavadze, Ija Gigoshvili u.a.
Der Film des Theaterleiters und -regisseur Merab Tavadze besteht aus mehreren gleichermaßen interessanten Schichten. Scheinbar ist „Auf der Wendeltreppe“ ein Film über den Bürgerkrieg Anfang der 90er Jahre in Abchasien, vor allem aber wird eine Vater-Sohn-Beziehung erzählt und von der enormen Entwurzelung des Einzelnen in einer umbrechenden Gesellschaft. Was der vom Krieg traumatisierte Georgi bei seinem Versuch in eine Art normales Leben zurück zu finden erlebt, entwickelt sich zum ausweglosen Thriller - aus dem Dilemma heraus führt am Ende nur die Flucht in Traumwelten, in verlogen aussehende, wahrscheinlich trügerische religiöse Transzendenz.
Der Film lebt von seinen genauen und sehr präsenten Darstellern ebenso wie von vielen messerscharf fotografierten Bildern. Man merkt, dass sowohl Regisseur als auch Darsteller überdurchschnittlich gute Theaterhandwerker sind. Die Texte des Filmes sind verdichtet, viele kammerspielartige Szenen sind eingebettet in karge, beklemmende Szenenbilder, andere Einstellungen spielen mit der Schönheit des Landes und den Gesichtern seiner Menschen. „Auf der Wendeltreppe“ wurde bisher nur auf Festivals gezeigt und erhielt in der Ukraine zwei Preise für Hauptdarsteller und Regie.


Fuck the man who started first - Georgische Kurzfilmnacht
Freitag, den 14. Oktober, UT Connewitz
22 Uhr

Der junge mazedonische Dramatiker Dejan Dukowski schrieb einst ein Stück mit dem sehr einprägsamen Titel „Fuck the man who started first“. Damals war niemand weniger als der „Liebe Gott“ selbst gemeint, der solche Sachen wie einen jugoslawischen Bürgerkrieg geschehen ließ. Genau hier ist zwischen Balkan und Kaukasus eine Schnittmenge. Auch im Kaukasus gab und gibt es eine Vielvölkerstruktur, auch hier gab es Gewalt und Bürgerkrieg, auch hier ist die Stimmung bis heute angespannt und eine Lösung der Konflikte nur langfristig und im Rahmen vernünftiger Geopolitik denkbar.
Nun ist Gewalt nur ein Thema im Kosmos eines jungen georgischen Filmschaffens, das hier an diesem Abend vorgestellt werden soll. Aber es gibt einen bemerkenswerten Film von David Kemkhadze, gedreht über den Dächern von Batumi, der wichtigsten Stadt Adschariens, am Meer gleich nördlich der türkischen Grenze... wo es eine „zweite Revolution“ gegeben hatte, wenige Wochen nach der von Tbilisi - ein Aufbegehren gegen den langjährigen Beherrscher dieses Landesteiles, der sich fürstenähnlich einen Teil Georgiens, einschließlich Bevölkerung zum Privatbesitz gemacht hatte. Dieser Film also, der „Libertango“ heißt, zeigt den Moment, wo jemand versagt, wo jemand etwas anstößt, das dann vielleicht nicht mehr rückgängig zu machen ist, vielleicht sogar schlimme Folgen hat. So gesehen ist David Kemkhadze sehr nah am Puls seines Landes.
Inwiefern das auch andere Filme leisten können, oder ob sie nur (legitime) Fingerübungen sind, wird dieser Abend zeigen, der

(von Absolventen der Staatlichen Akademie für Theater und Film in eigener Auswahl und Dramaturgie hier präsentiert wird.
Außerdem sind wir bestrebt, auch einige Filme des Künstlernetzwerkes GOSLAB in den Abend einzubauen.)
(...)
Alle hier beschriebenen Veranstaltungen im UT Connewitz.





Außerdem gibt es in der „Cinemateque“ in der naTo folgende Möglichkeiten (zwei weitere Filme zum Thema und) Wiederholungen zu sehen:


Meine Großmutter
Mittwoch, den 12. Oktober, nato, 20 Uhr
Donnerstag, den 13. Oktober, nato, 22 Uhr

UdSSR/Georgien 1929, s/w, 67 min., vertonter Stummfilm mit deutschen Zwischentiteln
Regie: Konstantin Mikaberidze
Die Satire auf Bürokratie, Protektionismus, Karrierismus und Spießbürgertum - der erste in Georgien verbotene Film - lag 50 Jahre lang auf Eis. In dem gleichermaßen ernsten wie komischen Werk wird ein gewissenhafter Bürokrat entlassen. Seine Frau droht mit der Scheidung, wenn er nicht sofort eine andere Arbeit findet. Nach langem Klinkenputzen rät ihm ein Freund, eine so genannte „Großmutter“, eine Gönnerin, eine Protektion zu finden. Gesagt, getan. Aber die Sache hat einen Haken.


Wiederholung: Eliso / Elisso
Mittwoch, den 12. Oktober, nato, 22 Uhr
UdSSR/Georgien 1928, s/w, 77 min., vertont 1935, deutsche Texttafeln


Seit Otar fort ist – Since Otar left
Donnerstag, den 13. Oktober, nato, 20 Uhr
Freitag, den 14. Oktober, nato, 20 Uhr
Frankreich 2003, 98 min., OmU
Regie: Julie Bertucelli, mit Dinara Drouk, Esther Gorintin, Nino Khomassouridze u.a.
Während der Georgier und studierte Mediziner Otar in Paris als illegaler Einwanderer auf einer Baustelle schuftet, schlagen sich seine Mutter Eka, seine Schwester Marina und deren Tochter Ada mühsam im postsozialistischen Chaos der heimatlichen Hauptstadt Tiflis durch.
Als die beiden jüngeren Frauen erfahren, dass Otar gestorben ist, halten sie die traurige Nachricht vor der alten Eka geheim. Sie fälschen Otars Briefe und dichten ihm ein neues Leben an. Das geht so lange gut, bis Eka beschließt, nach Paris zu reisen, um ihren Lieblingssohn noch einmal zu sehen.


Wiederholung: Vedreba / Das Gebet
Samstag, den 15. Oktober, nato, 20 Uhr
UdSSR/Georgien 1968, 75 min., OmU


Änderungen durch schwierige Verleihsituation und Rechtebeschaffung jederzeit möglich.
Bitte aktuell prüfen über www.utconnwitz.de und www.nato-leipzig.de

Eintrittspreis bei der Filmwoche 5 / ermäßigt 4 Euro.
Eine Dauerkarte für alle 7 Filmabende im UT Connewitz (Kobakhidzes Musikosebi / Musiker, Eliso, Vedreba / Das Gebet, Tsisperi mtebi anu daudjerebeli ambavi / Das Blaue vom Himmel, Auf der Wendeltreppe, dazu Jim Shvante/Das Salz Swanetiens und die „Georgische Kurzfilmnacht“) kostet 25 / ermäßigt 18 Euro.

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