02 September 2005

PROGRAMM: INTELLIGENT ELECTRONIC MUSIC




Musik aus einem kulturellen Schmelztiegel

Den folgenden Einführungen möchten wir wenig voranstellen. Außer dass wir uns auf die elektronisch dominierten Musik-Abende in UT und naTo sehr freuen. Da die Moderne im Bereich Theater/Tanz in Georgien nur sehr zaghaft Einzug hält, übernimmt die Musik – auch durch konzeptionelle und visuelle Elemente – gewisse Avantgarde-Funktion. Und ist trotzdem massenkompatibel und international erfolgreich. Nicht zuletzt dadurch, weil sie auf ihre Spezifiken baut, ihre Wurzeln nicht verleugnet.

Music from the cultural melting pot: Asia meets Europe meets the Orient in the Transcaucasian republic of Georgia.
Against the background of a very old culture of Georgian folk music, modern Georgian musicians started creating electronic music when samplers of this kind of music first approached the country in the late 1980s. They began mostly with imitations of new wave, the new romantics and the typical synthy sound of that time. The 90s then brought computers and internet and also the end of the Soviet Union of which Georgia was part of. Since then, Georgian musicians got the opportunity to visit western countries. They brought home new experiences and also the technical know-how of making this kind of music. A characteristic style was developed, which is striking for the whole genre of Georgian Electronic Music apart from its different branches: bizarre and exotic mixtures of western influences combined with elements of Georgian Folk Musik, which itself contains the whole variety of rudiments of Asian, Oriental as well as European music. Multicultural melodies meet the artificially designed sounds of electronic machines strongly influenced by jazz and individually mixed by the various artists. A very special musical experience!

Still, electronic music is very underground in Georgia. Most of the artists are involved in other musical projects apart from electronic music and many of them are visual artists as well as musicians. Now its time to free this music from being an interesting side project!
(aus Materialien zu NGA, "Neuer Georgischer Ästhetik")


Gogi Ge.Org

Als es noch keine Zukunft gab, hatte Popmusik viel zu tun. Die Menschen wollten träumen und sich zugleich dessen versichern, was sie zu fühlen meinten: dass alles bald ein Ende haben wird. Viele der schönsten Platten dieser Zeit vereinten beide Wünsche und gewannen. Sie lernten von Kraftwerk und vom Bossa Nova und fanden dort anderes als totes, geschmackvolles Ambiente.Die Zukunft versprach von 1989 bis 2000 finanzielles Glück, sie veränderte zuerst den Osten und überzog ihn dann in unserer Vorstellung mit dreckiggrauem Kleister, alles gleich, alles trist, alles nichts. Doch wo hier im Namen der vergangenen Epoche aus den Charts die alten Lieder schmettern, werden im milden Georgien die genannten Pop-Referenzen neu belebt und eine elektronische Musik für die Zeit nach der Zukunft entwickelt. Eine Clique aus Tiflis präsentiert nun mit Gogi.ge.orgs Debütalbum den überzeugenden Entwurf. Vielleicht weil ihre Akteure aufmerksamer, das Material unbelasteter und die Konfrontation mit den Veränderungen unmittelbarer sind, emulieren sie ihr Wissen auf neuen Werkzeugen zu relevanten Pop- und Club-Sensibilitäten. Die gelassene Selbstverständlichkeit, in der sich die an „Post Industrial Boys“ Beteiligten auf dem Cover versammeln, unterscheidet sie von anderen Plattenhüllen-Repräsentanten. Aus ihren Stimmen spricht Zuneigung, Stoik, Distanzierung, auch eine selbstverständliche Romantik. Im Land des schönen Gesangs wohnen Hipster, die sich über Schriftsteller definieren. Es geht ihnen um Details: genau hinsehen, sich selber beschreiben und wissen, dass man nicht so ist wie die anderen. All das bewegen federnde, oft südamerikanisch geprägte Rhythmen in detailreichen Tracks mit graziöser Eleganz. Auf den digitalelektronischen Maschinen der Zukunft skizziert Gogi klare, da formal reduzierte Standpunkte, was zuerst einmal unglaublich gut tut. Samtiger Glanz, Crépuscule- Charme und stiller Widerstand zeichnen erarbeitete Freiräume, die wertvollen Zugewinn versprechen: Elektropop en-tout-cas. In den neu sortierten Zusammenhängen findet sogar festverortetes Material (Ivor Cutler, W.S. Burroughs) seine Funktion, um Weltendistanzen zu überwinden. Diese gelehrte, sich selbst bewusste Musik versteht ihr Wissen als Werkzeug. Ähnlichen Ansätzen hier und anderswo sind sie einen Schritt voraus. Die Karten sind also neu gemischt. Niemand ist vorher drauf gekommen und hatte das Talent, es so zu machen wie Gogi und seine Freunde, von denen Natalie „Tusia“ Berdize mit ihrem abstrakteren Tba-Album schon ähnliches Erstaunen auslöste. Das hier ist jetzt der Hit aus Tiflis, ein Manifest der Möglichkeiten des Moments auf klassischer Vinylalbumlänge.
(Oliver Tepel im Mai 2004 in spex über das Album „Post Industrial Boys“ von Gogi.ge.org)



Post Industrial Boys is the debut album by Gogi Ge.Org aka George Dzodzuashvili. Seven different voices are found on Post Industrial Boys. All share an affinity to Goslab, a group of artists from Tbilisi, Georgia (including TBA/Natalie Beridze, Nikakoi, Gio + Maya Sumbadze...). Goslab is a phantom, which manifests itself as a culture through the performances of individual members and their various projects. In this sense, Goslab is somewhat like Georgia. Georgia is a post-communist phantom -- a pipeline in Off-Europe. A projection screen. There is a 5-hour time difference between London and Tbilisi. Tbilisi starts singing while America and Western Europe are still asleep. Post-industrial: The fifth Kondratieff wave will see the transition from hardware to software. Marx is on the finish line, somewhere between the greater and smaller Caucasus. Oil is entropy, ashes. 'Reproduction of what cannot be transformed' (Paul Valéry). Survival in global capitalism. Post-industrial joys. Streams. Sounds.
(gefunden auf www.forcedexposure.com)


Nikakoi/Erast

Emotronic Inc. hat eine neue Filiale, aber den Exotenbonus könnt ihr gleich in die Schluchten des Kaukasus schleudern, denn NIKAKOI aus Georgien will ihn nicht. Schließlich ist die Musik, die er für WMF Records produziert hat, keinesfalls außergewöhnlich im Sinne von fremdartig oder, noch schlimmer, folkloristisch georgisch. Außergewöhnlich ist vielmehr, dass aus einem Land, das neben seinem Sohn Stalin vor allem für Teeanbau, Zitrusfrüchte und leckeren Wein bekannt ist, auf einmal schnuckelig-flauschige Musik im Sinne der neuen Warp-Schule und ihren Widerspiegelungen im weltweiten Netzwerk der Nette-Jungs-Elektronik auftaucht. In die kleine ehemalige Sowjetrepublik, nordöstlich der Türkei am Schwarzen Meer gelegen, konnte man vor einigen Jahren nicht mal unbehindert reisen, weil in der Nachbarschaft die Russen gerade abtrünnige GUS-Staaten bombardierten. Und jetzt regt sich dort das Kollektiv GOSLAB, das im mediterranen Klima der Hauptstadt Tiflis klassisch interdisziplinär Film, Kunst, Mode, Text und Musik zusammenführt, und dessen Mitglied der Typ ist, der sich auf Russisch „Niemand“ nennt. NIKAKOI hat, nach Musik für eine Botho Strauss-Inszenierung und Kurzfilmen in Oberhausen, seinen Plattendeal ganz simpel durch gefeierte Auftritte in Paris und Berlin bekommen. NIKAKOI erweitert auf „shentimental“ die altbekannten Plinkermelodien, Effekte und Schredderbeats höchstens mal um New Wave-Gekrächze auf Georgisch, New Wave-Sprechgesang auf Englisch oder geht ein paar Schritte zurück zu altem APHEX TWIN-Ambient - und klingt ansonsten, wie man bei so etwas eben klingt. Das wiederum ist kein Symptom von globaler Gleichmacherei. Sondern ein ermutigender Wink dafür, dass elektronische Musik als Ausdrucksmittel auch in, aus böse eurozentristischer Perspektive, abgelegenen Orten der Welt funktioniert. Wenn nicht gerade der Strom ausgefallen ist.
(Maik Höfer im Juni 2003 für Radio 19.4, www.radio19-4.de)

Gut so: Von Osteuropäern unterwandert, auch WMF Berlin! Nikakoi (russ: Niemand) aus Georgien schiebt nach „Sestrichka“ den noch sentimentaleren Zweitling nach. Obwohl einige Tracks wie die Opener auf etwas unruhigem (wildgewordene Bassdrum, auf sich aufmerksam machende Melodien) Terrain gebaut sind, lullt das Album nach einiger Zeit mit sanfteren Gemütlichkeiten ein. Allein die weibliche Stimme auf „Krasnagorsky“ verbreitet sentimental moods pur. Lazy Russian afternoon! Nikakoi ist ein Meister unaufdringlich-drögen Soundgewölks. Es gehen nämlich unschuldig gebrochene Beats und zerhäckselt- bzw. verfremdetes russisches bzw. georgisches Liedgut eine gesunde Liaison ein. Und fürwahr, verbrämt mit Houseschnörkseln und Electronicazutaten ergibt das eine salooneske Mischung. (Alfred Pranzl im Oktober 2003 für „skug“)


arte berichtete im November 2004 in der Sendung TRACKS über Nikakoi:
Backstage - goslab
Ein neidvoller Blick auf Georgien und das Künstlernetzwerk goslab

Nach den Sets aus Georgien – und einer Pause – legt Heim-DJ LXC noch ein paar Absacker auf.


Gogi Ge.Org + Nikakoi /Erast

UT Connewitz, Samstag, den 15. Oktober
20 Uhr



OstWind elektronisch: NGA Lounge – Neue Georgische Ästhetik

Am Abend nach der Nacht im UT gibt es in der naTo eine kleine Variante „Neue Georgische Ästhetik“.
Wenn alles gut geht, schaffen es OstWind und MANöVER 2005 - Kartuli Suli neben Gogi Ge.Org und Nikakoi/Erast ein weiteres Aushängeschild georgischer elektronischer Musik, Tusja Beridze/TBA, in einer Veranstaltung zu präsentieren. Alle drei sind Gründungsmitglieder des oben beschriebenen Netwerkes „goslab“, eines Labors von Künstlern in Tätigkeitsfeldern von Musik über visuelle Medien bis hin zu Mode.
Ergänzend zum gestrigen Abend sind sind die drei angehalten in der naTo Sachen zum Anhören zu spielen, Soundspielereien, eher experimentelleres Material.

Tusja Beridze (aka TBA)

Sofort hat man das Gefühl, direkt im Rechnergehäuse zuhören zu dürfen und wie da alles heißläuft, aber irgendwie sind einige Tracks zu intim, als dass ich da völlig einsteigen könnte. Zum Glück betrifft das nur einen kleinen Teil. Andere Stücke öffnen einem sofort ihr Herz und immens träumerisch und verspielt, gehen sofort ins Ohr, agieren mit ganz einfachen Sounds und sind dadurch so wahnsinnig charmant, dass man gar nicht anders kann, als sie zu mögen, und einen schon gar nicht auf die unausgefeilte Produktion hören lässt, denn genau die ist auch mit das Wunderbare an Tusja Beridze. Irgendwie scheint es in Georgien einen großen Freundeskreis verhuschter klassischer Orgelwerke zu geben, die hier Inspiration zu sein scheinen, dann mit den üblichen Rechnergeräuschen gepaart werden, aber dennoch diese barocke Leichtigkeit behalten. Georgien klingt. Allein das ist schon eine gute Nachricht.
(thaddi auf www.de:bug.de über die CD „TBA“, erschienen bei Max.Ernst)


OstWind elektronisch: NGA Lounge – Neue Georgische Ästhetik

naTo, Sonntag, den 16. Oktober
20.30 Uhr

Das Konzert - siehe hier: weiter >>>

Keine Kommentare: